Friedrich Maximilian Hessemer : Jussuf und Nafisse – eine arabeske Liebesgeschichte in Versen
Jussuf und Nafisse – eine arabeske Liebesgeschichte in Versen
Der Leser von Hessemers Jussuf und Nafisse (Versroman aus dem Jahr 1847) wird in das bunte Getümmel der orientalischen Volksfeststimmung geworfen, die, – einst, in der legendären Blütezeit Kairos – aufzukommen pflegte, wenn nach langer und beschwerlicher Handelsreise eine mit Schätzen beladene Karawane vor den Toren der Stadt ihr Lager aufschlug. Die Blütezeit Kairos war eng mit dem Reichtum der Karawanen gekoppelt, sorgten sie doch nicht nur für den anhaltenden Wohlstand der Stadt, sondern sie verzauberten auch bei ihrer Ankunft das Alltagsleben der Stadtbewohner in eine aufblühende Volksfeststimmung. Diese plötzliche Versetzung der Einwohnerschaft Kairos in die idyllische Atmosphäre der Märchen aus 1001 Nacht dient Hessemer zur Exposition seiner arabesken Liebesgeschichte in Versen. Der Leser wird versetzt in die märchenhafte Zeit des Freundschaftskultes und der gastfreundschaftlichen Festgelage. Die Welt scheint auf im milden Glanz sinnenfroher Tage, ausgefüllt mit Flötenspiel und Tanz. Alle Sinne werden gleichzeitig angesprochen und zu einem alles umfassenden, prachtvollen Arabeskenornament zusammengeflochten.
In jubelvollem Festgeleit‘,
Im schönsten Schmuck kam einst die Blüthezeit
Mit bunter Pilgerkarawan
Vor Kairo bei den goldnen Toren an;
Sie schlug ihr Lager nah dabei,
Als ob dort ewig ihres Bleibens sei,
Und ließ dann ihre Schätze sehn,
Viel reicher, als es je zuvor geschehn.
Da lud der Tage milder Glanz
In’s grüne Zelt zu Flötenspiel und Tanz,
zu mannigfachem Gastgelag
In immer neuer Würze jeden Tag,
Und zu Genossen, herzvertraut,
Die man seit langen Monden nicht geschaut.
Der Tage linder Odemzug
Verschenkte da wohl Blumenduft genug
Und sandte Blüthen, manches Blatt
Als Freundeszeichen heiter in die Stadt,
Die selbst geschmückt und blüthevoll
In Lust empfing der Gäste Pilgerzoll.
In dieser Tage Schmuck und Pracht
Kam Jussuf an, verborgen in der Nacht;
Doch bald bekannt, und bald genannt,
Als wär er mit der Blüthezeit verwandt.
Es ist das spezifische Merkmal der Ornamentarabeske, daß sie in all ihrer Üppigkeit und Abundanz, ohne den ästhetischen Geschmack zu verletzen, noch Raum für weitere Ausschmückung und Anreicherung hat. Der Unterschied zur abendländischen Selbstbeschränkung, die mit der christlichen Tugend der asketischen Entsagung aufs engste zusammenhängt, liegt darin begründet, daß das orientalische Ornament keineswegs als überfüllt empfunden wird, sondern daß aus seiner Fülle heraus Imagination und letztlich Erzählkultur entsteht, indem sich der Betrachter meditativ in das Ornament hineinträumt und ins Fabulieren gerät. In seiner imaginativen Potenz verknüpft sich das arabeske Ornament mit einer Qualität, die ansonsten eher der Schrift zukommt. Insbesondere die kufische Kalligraphie verleiht umgekehrt den Schriftzeichen des Koran ornamentale und arabeske Züge, die sie beispielsweise auch einem Analphabeten als Ausdrucksform höheren, göttlichen Willens erscheinen lassen. Auf diese Weise fallen Schrift und Ornament, Inschrift und Arabeske in ein gleichermaßen religiös und ästhetisch motiviertes Kunstgebilde zusammen.
Um die Moschee des Gala’un zu schmücken
Ist über jener Stelle wo die Frommen
Die duft’gen Blumen des Gebetes pflücken,
Die Mauer hoch und breit, und eingenommen
Wird sie von riesengroßer goldner Schrift,
Dem Lamm der Andacht eine Segenstrift.
Da stehn des Koran ewige Gedanken
Zum Jubel aller Augen, und daß Jedermann
Sich daran erfreu‘, auch wer nicht lesen kann,
Sind sie durchschmückt mit farb’gen Blumenranken.
Nach dieser Schrift saß Jussuf hingewendet,
Und als den Schleier er um’s Haupt gezogen,
War sein schon trüber Blick noch mehr geblendet.
Die Schrift schien ein bewegter Regenbogen
In steter Wallung und belebt zu sein,
Als lade schmeichelnd sie zum Lesen ein,
Und als er las, erkannt‘ er Worte,
Die wunderbar an diesem heil’gen Orte
Nur ganz allein an ihn gerichtet waren.
Die ornamentale Vielfältigkeit und Überfülle als Auslöser von imaginativer Phantasie sowie als Ursprung des erzählten Märchens zieht den Blick des Lesers und Betrachters auf das Individuelle, dessen verschlungenem Faden in der ornamentalen Inschrift oder im Muster orientalischer Teppiche mit seinen verschnörkelten Windungen und Wickelungen das Auge versonnen und selbstvergessen folgt. Der einzelne Faden erscheint, und das ist für das Verständnis dieses arabesken Erzählens wichtig, nicht isoliert, sondern in enger Verflechtung und Einbindung in seine ornamentale Umgebung.
Und eines Tages fand sich da,
Daß viel des Volks hinab die Straße sah,
Die wechselnd weit und knapp geschnürt,
Zum Sultansplatz in mancher Krümmung führt,
Denn in der Ferne sah man ihn nun reiten,
Und hörte man die Männer ihn begleiten.
Er kam heran mit Dienern und Genossen
In buntem Schmuck auf stolzen Rossen,
Umdrängt von Reich und Arm,
Gleich einem Bienenweisel in dem Schwarm.
Hessemer verwendet das Bild des Bienenweisels im Schwarm, der sich durch die vielfältig gekrümmten Straßen im rhythmischen Wechsel von Enge und Weite dem fernen Beobachter bietet. Der Rhythmus und die Variation der Ornamentarabeske schlägt sich aber nicht nur im sorgfältig berechneten Bildprogramm der Verserzählung Hessemers nieder, sondern auch im locker variierten Reimschema sowie in der rhythmischen Akzentuierung des Metrums.